Eine „Akkretionsscheibe” ist in der Astrophysik eine um ein zentrales Objekt rotierende Scheibe, die Materie in Richtung des Zentrums transportiert. Sie kann aus atomarem Gas, ionisiertem Gas (Plasma) oder interstellarem Staub bestehen.
Der Durchmesser von Akkretionsscheiben reicht von einigen
Man geht davon aus, dass die in einer Akkretionsscheibe gespeicherte Materie die Masse des akkretierenden Objekts um bis zu zwei Größenordnungen übersteigen kann. Diese Scheiben werden auch als „selbstgravitierende” Scheiben beschrieben, weil sie von der Gravitationskraft der in ihnen gespeicherten Materie stabilisiert und zusammengehalten werden.
Die Temperatur eines Rings einer Akkretionsscheibe ist eine Funktion der Dichte, der Viskosität und der Rotationsgeschwindigkeit. Sie steigt in Richtung des Zentrums an und kann in der Übergangsschicht bis zu einige Millionen Kelvin erreichen.
Das Strahlungsprofil einer Akkretionsscheibe setzt sich in erster Näherung aus der Strahlung der einzelnen Ringe zusammen. Diese weisen dann alle unterschiedliche Temperaturen auf, die jeweils auf den Abständen zum akkretierenden Objekt beruhen. Ihre Strahlung reicht von Infrarot bis hin zu harter Röntgenstrahlung.
Im Allgemeinen sieht man Akkretionsscheiben um junge Sterne herum angeordnet und noch einige Zeit nach der Sternentstehung. Hierzu gehören die sogenannten T-Tauri-Sterne, Herbig-Ae/Be-Sterne und die FU-Orionis-Sterne.
Des Weiteren bilden sich Akkretionsscheiben um sehr kompakte Objekte wie Neutronensterne, Schwarze Löcher sowie Weiße Zwerge. In Akkretionsscheiben, die sich um Neutronensterne und Schwarze Löcher bilden, wird potentielle Gravitationsenergie umgesetzt. Oft bildet sich aus der verschlungenen Materie ein sogenannter „Jet”.
Abb. 1: Advektionsdominierter Akkretionsfluss
Das Zentralobjekt, welches im Innern der Scheibe die Materie quasi „aufsammelt”, gleicht einer aufgeblähten Materieströmung aus heißem, dünnem Gas, die eine etwa kugelige Gestalt um das Zentralobjekt annimmt. In der Astronomie bezeichnet man diese Strömung als „ADAF” (advection-dominated accretion flow).[1] Der ADAF wurde erstmals 1994 entdeckt.[2] Er weist die Besonderheit auf, dass die akkretierte Materie nicht durch Strahlung „gekühlt” wird, wie das bei der Standardscheibe (SSD) der Fall ist.
Das Unterbleiben der Kühlung führt zur Aufheizung des Akkretionsflusses, der sich dadurch ausdehnt und ausgedünnt wird. Ein derart verdünntes Gas kann durch Strahlung schlecht gekühlt werden, weil es kaum Wechselwirkungen zwischen Gas und Strahlung gibt. Im Gegensatz zur Standardakkretionsscheibe wird die thermische Energie nicht durch elektromagnetische Wellen abgestrahlt, sondern im Gas als innere Energie und Entropie gespeichert.
ADAFs bilden sich typischerweise bei kleinen Akkretionsraten aus. Pro Zeiteinheit fällt verhältnismäßig wenig Materie auf den Akkretor. Bei hohen Akkretionsraten dominieren andere Akkretionslösungen, wie die Standardscheibe (SSD) oder die sogenannten „schlanken Scheiben” (slim disks).[3]
Die Standardscheibe (SSD) bildet eine Möglichkeit von vielen Akkretionsflüssen, die auf der reinen Hydromechanik ohne Magnetfeldern beruht. Wie bereits erwähnt, bezeichnet es eine Materieströmung, die um ein zentrales, kosmisches Objekt rotiert. Der Materiefluss sammelt sich auch hier in einer flachen Scheibe, der sogenannten Akkretionsscheibe.[4] Im Gegensatz zum ADAF findet man die Standardscheibe in unterschiedlicher Ausprägung in allen Akkretionsflüssen − unabhängig von der Akkretionsrate[4].
Die Strömung rotiert in einer flachen, geometrisch dünnen Materiescheibe. Das
Verhältnis von Scheibenhöhe H zu Scheibenradius
R nennt man Skalenhöhe, dieses ist für Standardscheiben
Die Gas- und Staubscheiben rotieren allerdings nicht als starrer Körper, sondern
differentiell. Man kann anhand von spektralen Rot- und Blauverschiebungen die
Orbitalgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Radius messen. Akkretionsscheiben
um Sterne oder Mehrfachsternsysteme, bei denen die Orbitalgeschwindigkeit
gemäß dem
Die Umlaufgeschwindigkeit nimmt mit der Annäherung an das Zentralobjekt zu. Ähnliches ist bei den Orbitalgeschwindigkeiten der Planeten um unser Zentralgestirn zu beobachten. Es gibt allerdings einen innersten Rand oder Übergang der Scheibe, denn eine stabile Rotation bricht an der marginal stabilen Bahn zusammen. Dieser Innenrand heißt auch „innerste stabile Kreisbahn” (innermost stable circular orbit, ISCO).[6] Die langsame Einfallbewegung zum Zentralobjekt nennt man auch „radial Drift”.
Die Materie in der Scheibe bewegt sich mikroskopisch vergleichbar mit einer „zähen Flüssigkeit” nicht auf geordneten Bahnen, sondern turbulent. Das auf Kepler beruhende Geschwindigkeitsprofil beschreibt dagegen eine geordnete, makroskopische Bewegung. Sie ist dafür verantwortlich, dass benachbarte Ringe von Scheibenmaterial unterschiedlich schnell rotieren. Diese „Flüssigkeitsringe” stehen zwar miteinander in Verbindung, so wie die Teilchen in einer Flüssigkeit locker zusammen gehalten werden. Doch die Rotation verschiebt die Ringe gegeneinander. Bei dieser Scherung wird dem Scheibenmaterial turbulente Bewegungsenergie entzogen und in Wärmeenergie umgewandelt.
Generell heißt die Umwandlung einer Energie in Wärmeenergie „Dissipation”.
Die Dissipation in Standardscheiben ist eine Folge der turbulenten, hydrodynamischen
Viskosität. Die Scheibentemperatur T folgt einem
Potenzgesetz und nimmt nach innen mit dem
Eine typische Maximaltemperatur in der Nähe eines supermassereichen
Schwarzen Loches von
Die Strahlung der Standardscheibe ist thermisch. Man kann sich die dünne Scheibe in Ringe zerlegt denken, von denen jeder Ring eine bestimmte Temperatur hat. Jeder Ring kann wie ein Planck'scher Wärmestrahler behandelt werden, der bei einer bestimmten Wellenlänge sein Strahlungsmaximum annimmt. Das gesamte Spektrum der Standardscheibe ist entsprechend die Summe aller Ringe.
Die optische Leuchtkraft der Standardscheibe ist proportional zur Masse des aufsammelnden Zentralobjekts. Außerdem nimmt die Leuchtkraft auch mit der Akkretionsrate zu. Durch die Abstrahlung elektromagnetischer Wärmestrahlung verliert der Akkretionsfluss Energie. Die Kühlung ist bei Standardscheiben besonders effizient. Das heißt, die thermische Energie des Materiestroms wird nahezu vollständig als Strahlungsenergie abgestrahlt. Das sorgt zusammen mit der Rotation dafür, dass der Akkretionsfluss in sich zusammenfällt und Standardscheiben dünne, abgeflachte Akkretionsflüsse sind. Dadurch wird das Scheibenmaterial verdichtet.
Innerhalb der Scheibe kann sich elektromagnetische Strahlung kaum fortpflanzen, weil sie durch den Strahlungstransport ständig gestreut, absorbiert, erneut emittiert und reabsorbiert wird. Standardscheiben sind daher mehr oder weniger undurchsichtig (opak) für elektromagnetische Wellen. Diese Eigenschaft der Undurchsichtigkeit bei Standardscheiben verlieh ihnen das Attribut „optisch dick”.
Zusammenfassend kann man sagen, dass in Akkretionsflüssen wie den Standardscheiben Energieformen ineinander umgewandelt werden. Am Anfang steht die Gravitationsenergie, eine potentielle Energie, die Materie in einigem Abstand zum Akkretor hat. Diese Energie der Lage wird im Falle der Standardscheiben zunächst vor allem in Rotationsenergie umgewandelt. Scherung und Turbulenz bewerkstelligen eine Umwandlung in thermische Energie. Schließlich findet eine Umwandlung in Strahlungsenergie statt. Dieser letzte Umwandlungsprozess ist der entscheidende für die Astronomie, wodurch diese kosmischen Objekte aus großer Entfernung erst sichtbar werden.
Aus der differentiellen Rotation um das Zentralobjekt (die inneren Bereiche rotieren aufgrund der Keplerschen Gesetze schneller) ergeben sich Reibungs- und Scherkräfte. Durch solche und andere turbulente Prozesse in der Scheibe werden Teilchen in Richtung des Zentralobjekts befördert, so dass dieses Masse gewinnt (akkretiert). Dazu müssen die Teilchen ihren Drehimpuls nach außen abführen (Drehimpulserhaltung), indem sie ihn auf andere Teilchen übertragen, die als Folge vom Zentralobjekt „weggedrückt” werden.
Die molekulare Viskosität ist zu klein, um für den Drehimpulsübertrag in der nötigen Größenordnung verantwortlich zu sein. Deshalb nimmt man an, dass die Scheibe turbulent wird und dies eine Viskosität erzeugt. Bei schwach ionisierten Scheiben übernehmen die Magnetfelder, welche die Ionen unvermeidlich mit sich tragen, eine wichtige Rolle: Sie bewirken Instabilität bzw. Magnetorotationsinstabilität (MRI), die zu Turbulenz in der Scheibe und damit zu einer dynamischen Viskosität führt. Die Theorie zur Beschreibung von Plasmen in Magnetfeldern ist die Magnetohydrodynamik (MHD).
Eine Gaswolke kann sich nur dann unter dem Einfluss der Gravitation zusammenziehen, wenn es in irgendeiner Form Reibung zwischen sich begegnenden Teilchen unterschiedlicher Geschwindigkeit gibt. Andernfalls würden die Teilchen auch nach Kollisionen im Mittel die gleiche kinetische Energie behalten und damit auf Dauer nicht weiter unten im Potentialtopf Platz nehmen (d. h. näher zum Zentrum driften). Die Dissipation ist umso größer, je größer die Relativgeschwindigkeiten der Teilchen sind.
Wenn die ganze sich zusammenziehende Wolke einen nennenswerten Gesamtdrehimpuls hat, erfolgen Begegnungen parallel zur Rotationsachse im Mittel mit höherer Geschwindigkeit als senkrecht zur Achse. Dadurch werden die Bewegungen parallel zur Achse stärker verlangsamt als die, deren Bahndrehimpuls mit dem Gesamtdrehimpuls übereinstimmt (d. h. als die Bewegungen senkrecht zur Achse). Sobald die Bestandteile sich einigermaßen in einer Ebene bewegen, vermindert sich die Relativgeschwindigkeit deutlich und es bleibt eine Scheibe übrig.
Für die Entstehung von Akkretionsscheiben gibt es Modelle. Bei ihnen spielen Strahlungsprozesse für die Dämpfung eine wesentliche Rolle.[7]
Quellen
[1] Advection-Dominated Accretion around Black Holes. In: Cornell University. 12. März 1998.[2] Narayan & Yi, Advection-dominated accretion. In: The Astrophysical Journal. Juni 1994.
[3] Slim accretion disk model. In: nasa.gov. 2003.
[4] Grand Unification of AGN and the Accretion and Spin Paradigms. In: Cornell University. 26. August 1999.
[5] COSMOS - The SAO Encyclopedia of Astronomy.
[6] Innermost stable circular orbit of spinning test particle in Kerr-AdS black hole background. In: Cornell University. 15. Dezember 2018.
[7] Lexikon der Astrophysik: Akkretion
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