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Akkretionsscheibe


Beschreibung

Eine „Akkretions­scheibe” ist in der Astro­physik eine um ein zentrales Objekt rotie­rende Scheibe, die Materie in Richtung des Zentrums trans­portiert. Sie kann aus atomarem Gas, ionisiertem Gas (Plasma) oder inter­stellarem Staub bestehen.

Der Durch­messer von Akkretions­scheiben reicht von einigen 100 AE (Astrono­mischen Ein­heiten), bis zu hunderten Parsec (Parallaxen­sekunde) bei aktiven galak­tischen Kernen. 1 AE ent­spricht dem mittleren Abstand zwischen Sonne und Erde, wobei 1 Parsec der Ent­fernung ent­spricht, die 1 AE unter einem Winkel von einer Bogen­sekunde (1/3600°) erscheint.

Man geht davon aus, dass die in einer Akkretions­scheibe gespei­cherte Materie die Masse des akkretie­renden Objekts um bis zu zwei Größen­ordnungen über­steigen kann. Diese Scheiben werden auch als „selbst­gravi­tierende” Scheiben beschrieben, weil sie von der Gravitations­kraft der in ihnen gespei­cherten Materie stabili­siert und zusammen­gehalten werden.

Die Temperatur eines Rings einer Akkretions­scheibe ist eine Funktion der Dichte, der Viskosität und der Rotations­geschwindig­keit. Sie steigt in Richtung des Zentrums an und kann in der Über­gangs­schicht bis zu einige Millionen Kelvin erreichen.

Das Strahlungs­profil einer Akkretions­scheibe setzt sich in erster Näherung aus der Strahlung der einzelnen Ringe zusammen. Diese weisen dann alle unter­schied­liche Tempera­turen auf, die jeweils auf den Abständen zum akkretie­renden Objekt beruhen. Ihre Strahlung reicht von Infrarot bis hin zu harter Röntgen­strahlung.

Im Allge­meinen sieht man Akkretions­scheiben um junge Sterne herum ange­ordnet und noch einige Zeit nach der Stern­entstehung. Hierzu gehören die soge­nannten T-Tauri-Sterne, Herbig-Ae/Be-Sterne und die FU-Orionis-Sterne.

Des Weiteren bilden sich Akkretions­scheiben um sehr kompakte Objekte wie Neutronen­sterne, Schwarze Löcher sowie Weiße Zwerge. In Akkretions­scheiben, die sich um Neutronen­sterne und Schwarze Löcher bilden, wird poten­tielle Gravitations­energie umgesetzt. Oft bildet sich aus der verschlungenen Materie ein sogen­annter „Jet”.


Abb. 1: Advektionsdominierter Akkretionsfluss

Das Zentral­objekt, welches im Innern der Scheibe die Materie quasi „aufsammelt”, gleicht einer aufge­blähten Materie­strömung aus heißem, dünnem Gas, die eine etwa kugelige Gestalt um das Zentral­objekt annimmt. In der Astro­nomie bezeichnet man diese Strömung als „ADAF” (advection-dominated accretion flow).[1] Der ADAF wurde erstmals 1994 entdeckt.[2] Er weist die Besonder­heit auf, dass die akkretierte Materie nicht durch Strah­lung „gekühlt” wird, wie das bei der Standard­scheibe (SSD) der Fall ist.

Das Unter­bleiben der Kühlung führt zur Auf­heizung des Akkretions­flusses, der sich dadurch ausdehnt und ausge­dünnt wird. Ein derart ver­dünntes Gas kann durch Strahlung schlecht gekühlt werden, weil es kaum Wechsel­wirkungen zwischen Gas und Strahlung gibt. Im Gegen­satz zur Standard­akkretions­scheibe wird die thermische Energie nicht durch elektro­magne­tische Wellen abge­strahlt, sondern im Gas als innere Energie und Entropie gespeichert.

ADAFs bilden sich typischer­weise bei kleinen Akkretions­raten aus. Pro Zeit­einheit fällt verhältnis­mäßig wenig Materie auf den Akkretor. Bei hohen Akkretions­raten dominieren andere Akkretions­lösungen, wie die Standard­scheibe (SSD) oder die soge­nannten „schlanken Scheiben” (slim disks).[3]


Abb. 2: Die künstlerische Darstellung zeigt einen energiereichen, durch starke Magnetfelder gebündelten Radiojet, der senkrecht zur Scheibe abgestrahlt wird. Innerhalb des Jets werden nicht nur Radio-, sondern auch Gammaphotonen erzeugt. (© NASA JPL/CalTech)

Die Standard­scheibe (SSD) bildet eine Möglich­keit von vielen Akkretions­flüssen, die auf der reinen Hydro­mechanik ohne Magnet­feldern beruht. Wie bereits erwähnt, bezeichnet es eine Materie­strömung, die um ein zentrales, kosmisches Objekt rotiert. Der Materie­fluss sammelt sich auch hier in einer flachen Scheibe, der soge­nannten Akkretions­scheibe.[4] Im Gegensatz zum ADAF findet man die Standardscheibe in unterschiedlicher Ausprägung in allen Akkretions­flüssen − unab­hängig von der Akkretions­rate[4].




Rotation

Die Strömung rotiert in einer flachen, geometrisch dünnen Materie­scheibe. Das Verhältnis von Scheiben­höhe H zu Scheiben­radius R nennt man Skalen­höhe, dieses ist für Standard­scheiben ≪ 1. Die rotierende Materie besitzt einen Dreh­impuls. Daher muss der Akkretions­fluss zu einer Scheibe abflachen, weil dieser Zustand energe­tisch günstiger ist und von der Dreh­impuls­erhaltung diktiert wird. Man sagt auch, die Scheiben­form bzw. Achsensym­metrie ist die korrespon­dierende Symmetrie­eigenschaft zum erhaltenen Drehimpuls.

Die Gas- und Staub­scheiben rotieren aller­dings nicht als starrer Körper, sondern differentiell. Man kann anhand von spektralen Rot- und Blauverschie­bungen die Orbital­geschwindig­keit in Abhängig­keit vom Radius messen. Akkretions­scheiben um Sterne oder Mehrfach­stern­systeme, bei denen die Orbital­geschwindig­keit gemäß dem 3. Keplerschen Gesetz vom Radius abhängt (v ∝ 1 / √R),[5] werden auch als Kepler­scheiben bezeichnet. Für diese gilt, dass die Scheibe selbst so wenig Masse enthält, dass ihre Rotation praktisch nur vom Zentral­stern bzw. den Zentral­sternen bestimmt wird.


Abb. 3: Orbitalgeschwindigkeiten für verschiedene Abstände

Die Umlauf­geschwindig­keit nimmt mit der Annähe­rung an das Zentral­objekt zu. Ähn­liches ist bei den Orbital­geschwindig­keiten der Planeten um unser Zentral­gestirn zu beobachten. Es gibt aller­dings einen innersten Rand oder Über­gang der Scheibe, denn eine stabile Rotation bricht an der marginal stabilen Bahn zusammen. Dieser Innen­rand heißt auch „innerste stabile Kreis­bahn” (innermost stable circular orbit, ISCO).[6] Die langsame Einfall­bewegung zum Zentral­objekt nennt man auch „radial Drift”.

Die Materie in der Scheibe bewegt sich mikros­kopisch vergleich­bar mit einer „zähen Flüssig­keit” nicht auf geord­neten Bahnen, sondern turbu­lent. Das auf Kepler beruhende Geschwindig­keits­profil beschreibt dagegen eine geordnete, makros­kopische Bewegung. Sie ist dafür verant­wortlich, dass benach­barte Ringe von Scheiben­material unter­schied­lich schnell rotieren. Diese „Flüssig­keits­ringe” stehen zwar mit­einander in Verbin­dung, so wie die Teil­chen in einer Flüssig­keit locker zusammen gehalten werden. Doch die Rotation ver­schiebt die Ringe gegen­einander. Bei dieser Scherung wird dem Scheiben­material turbu­lente Bewegungs­energie entzogen und in Wärme­energie umgewandelt.

Generell heißt die Umwandlung einer Energie in Wärme­energie „Dissipation”. Die Dissipation in Standard­scheiben ist eine Folge der turbu­lenten, hydro­dynamischen Viskosi­tät. Die Scheiben­temperatur T folgt einem Potenz­gesetz und nimmt nach innen mit dem Radius r zu, nimmt aber anderer­seits mit der Masse M des Zentral­objekts wieder ab. Die Maximal­temperatur am Innen­rand hängt generell von der Masse des Zentral­objekts, der Akkretions­rate und dem Ort des Innenrands (ISCO) ab.

Eine typische Maximal­temperatur in der Nähe eines super­masse­reichen Schwarzen Loches von 100 Millionen Sonnen­massen ist etwa 1 Million Kelvin. Das entspricht etwa einem Zehntel der Zentral­temperatur der Sonne. Aus diesen hohen Temperaturen lässt sich schluss­folgern, dass das Scheiben­material häufig aus einem Plasma besteht. Atomare und moleku­lare Standard­scheiben sind nur bei tieferen Tempera­turen denkbar. Dennoch spricht man oft von „kalten” Standard­scheiben. Diese Bezeich­nungs­weise hat sich ergeben, weil es einen noch deut­lich heißeren Akkretions­fluss gibt, den ADAF.

Die Strahlung der Standard­scheibe ist thermisch. Man kann sich die dünne Scheibe in Ringe zerlegt denken, von denen jeder Ring eine bestimmte Temperatur hat. Jeder Ring kann wie ein Planck'scher Wärme­strahler behandelt werden, der bei einer bestimmten Wellen­länge sein Strahlungs­maximum annimmt. Das gesamte Spektrum der Standard­scheibe ist entspre­chend die Summe aller Ringe.

Die optische Leucht­kraft der Standard­scheibe ist propor­tional zur Masse des aufsam­melnden Zentral­objekts. Außer­dem nimmt die Leucht­kraft auch mit der Akkretions­rate zu. Durch die Abstrah­lung elektro­magne­tischer Wärme­strahlung verliert der Akkretions­fluss Energie. Die Kühlung ist bei Standard­scheiben besonders effizient. Das heißt, die thermische Energie des Materie­stroms wird nahezu voll­ständig als Strahlungs­energie abge­strahlt. Das sorgt zusammen mit der Rotation dafür, dass der Akkretions­fluss in sich zusammen­fällt und Standard­scheiben dünne, abge­flachte Akkretions­flüsse sind. Dadurch wird das Scheiben­material verdichtet.

Innerhalb der Scheibe kann sich elektro­magnetische Strahlung kaum fort­pflanzen, weil sie durch den Strahlungs­transport ständig gestreut, absorbiert, erneut emittiert und reabsorbiert wird. Standard­scheiben sind daher mehr oder weniger undurch­sichtig (opak) für elektro­magne­tische Wellen. Diese Eigen­schaft der Undurch­sichtig­keit bei Standard­scheiben verlieh ihnen das Attribut „optisch dick”.

Zusammen­fassend kann man sagen, dass in Akkretions­flüssen wie den Standard­scheiben Energie­formen ineinander umge­wandelt werden. Am Anfang steht die Gravitations­energie, eine poten­tielle Energie, die Materie in einigem Abstand zum Akkretor hat. Diese Energie der Lage wird im Falle der Standard­scheiben zunächst vor allem in Rotations­energie umge­wandelt. Scherung und Turbulenz bewerk­stelligen eine Umwand­lung in thermische Energie. Schließ­lich findet eine Umwand­lung in Strahlungs­energie statt. Dieser letzte Umwandlungs­prozess ist der entschei­dende für die Astronomie, wodurch diese kosmischen Objekte aus großer Entfernung erst sichtbar werden.




Mechanismus

Aus der differen­tiellen Rotation um das Zentral­objekt (die inneren Bereiche rotieren aufgrund der Keplerschen Gesetze schneller) ergeben sich Reibungs- und Scher­kräfte. Durch solche und andere turbulente Prozesse in der Scheibe werden Teilchen in Richtung des Zentral­objekts befördert, so dass dieses Masse gewinnt (akkretiert). Dazu müssen die Teilchen ihren Dreh­impuls nach außen abführen (Drehimpuls­erhaltung), indem sie ihn auf andere Teilchen über­tragen, die als Folge vom Zentral­objekt „weggedrückt” werden.

Die molekulare Viskosi­tät ist zu klein, um für den Dreh­impuls­übertrag in der nötigen Größen­ordnung verant­wortlich zu sein. Deshalb nimmt man an, dass die Scheibe turbulent wird und dies eine Viskosi­tät erzeugt. Bei schwach ionisierten Scheiben über­nehmen die Magnet­felder, welche die Ionen unver­meidlich mit sich tragen, eine wichtige Rolle: Sie bewirken Instabilität bzw. Magneto­rotations­instabilität (MRI), die zu Turbulenz in der Scheibe und damit zu einer dynamischen Viskosi­tät führt. Die Theorie zur Beschreibung von Plasmen in Magnet­feldern ist die Magneto­hydrodynamik (MHD).




Entstehung

Eine Gaswolke kann sich nur dann unter dem Ein­fluss der Gravi­tation zusammen­ziehen, wenn es in irgend­einer Form Reibung zwischen sich begeg­nenden Teil­chen unter­schied­licher Geschwindig­keit gibt. Andern­falls würden die Teil­chen auch nach Kolli­sionen im Mittel die gleiche kinetische Energie behalten und damit auf Dauer nicht weiter unten im Potential­topf Platz nehmen (d. h. näher zum Zentrum driften). Die Dissipation ist umso größer, je größer die Relativ­geschwindig­keiten der Teilchen sind.

Wenn die ganze sich zusammen­ziehende Wolke einen nennens­werten Gesamt­dreh­impuls hat, erfolgen Begeg­nungen parallel zur Rotations­achse im Mittel mit höherer Geschwindig­keit als senk­recht zur Achse. Dadurch werden die Bewe­gungen parallel zur Achse stärker verlang­samt als die, deren Bahn­dreh­impuls mit dem Gesamt­dreh­impuls über­einstimmt (d. h. als die Bewe­gungen senk­recht zur Achse). Sobald die Bestand­teile sich einiger­maßen in einer Ebene bewegen, vermindert sich die Relativ­geschwindig­keit deutlich und es bleibt eine Scheibe übrig.

Für die Entstehung von Akkretions­scheiben gibt es Modelle. Bei ihnen spielen Strahlungs­prozesse für die Dämpfung eine wesent­liche Rolle.[7]

Quellen

[1] Advection-Dominated Accretion around Black Holes. In: Cornell University. 12. März 1998.
[2] Narayan & Yi, Advection-dominated accretion. In: The Astrophysical Journal. Juni 1994.
[3] Slim accretion disk model. In: nasa.gov. 2003.
[4] Grand Unification of AGN and the Accretion and Spin Paradigms. In: Cornell University. 26. August 1999.
[5] COSMOS - The SAO Encyclopedia of Astronomy.
[6] Innermost stable circular orbit of spinning test particle in Kerr-AdS black hole background. In: Cornell University. 15. Dezember 2018.
[7] Lexikon der Astrophysik: Akkretion


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