Unter dem Begriff „Gravitation” versteht man auch gerne die „Massenanziehung” oder allgemein die „Gravitationskraft”. Gegenwärtig zählt man sie noch zu den vier Grundkräften der Physik, wenngleich sie eine Sonderstellung einnimmt. Sie äußert sich nach dem weitläufigen Verständnis in der gegenseitigen Anziehung von Massen.
Die Gravitation nimmt mit zunehmender Entfernung der Massen voneinander ab. Sie soll aber unbegrenzte Reichweite haben, weil man sich sonst die Beobachtungen im Universum nicht erklären kann. Im Gegensatz zu den elektromagnetischen Kräften lässt sie sich nicht abschirmen.
Hier auf der Erde bewirkt die Gravitation, dass alle Körper nach „unten” fallen, sprich in Richtung Erdmittelpunkt, sofern sie nicht durch andere Kräfte daran gehindert werden. Nach bisherigem Verständnis bestimmt die Gravitation in unserem Sonnensystem die Bahnen der Planeten, Monde, Satelliten und Kometen. Sie sei auch im Kosmos für die Entstehung von Galaxien und Sternen verantwortlich.
Die Gravitation wird oft mit der Schwerkraft gleichgesetzt. Das Gewicht eines Körpers wird allerdings vom lokal herrschenden Schwerefeld bestimmt, welches nicht nur die Gravitationskraft beinhaltet, sondern auch die auf den Körper wirkenden Trägheitskräfte. Letzteres ist dann der Fall, wenn das Bezugssystem rotiert.
Im Rahmen der klassischen Physik wird die Gravitation mit dem Newton'schen Gravitationsgesetz beschrieben. Es soll sich dabei um eine instantan durch den leeren Raum wirkende Fernwirkungskraft handeln, also eine Kraft die ohne Verzögerung sofort ihre Wirkung zeigt.
Ein grundlegend anderes Verständnis der Gravitation ergibt sich aus der Allgemeinen
Relativitätstheorie (ART) nach Albert Einstein. Hierbei wirkt die Gravitation
nicht in Form einer Kraft auf die Körper, sondern wird durch eine Krümmung der
Interessant ist, wie sich das Verständnis der Gravitation über die Jahrhunderte hinweg stetig verbessert hat. Und es spricht viel dafür, dass das gegenwärtige Verständnis noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Es folgt ein kurzer geschichtlicher Überblick.
Der griechische Philosoph Aristoteles beschrieb in der Antike im Rahmen seiner Kosmologie die „Schwere” als eine Eigenschaft der sublunaren Elemente. Dazu zählten die Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft. Alle Körper, die aus diesen Elementen bestehen, würden dann zum Mittelpunkt der Erde streben. Diese Vorstellung war lange das physikalische Hauptargument für das geozentrische Weltbild.
Altindische Autoren führten den freien Fall auf eine Kraft zurück, die proportional zur Masse eines Objektes ist und in Richtung des Erdmittelpunkts wirkt. Der persische Astronom Muhammad ibn Musa z. B. versuchte im 9. Jahrhundert, die Bewegungen der Himmelskörper durch eine Art Anziehungskraft zu erklären.
Al-Biruni übersetzte im 11. Jahrhundert verschiedene Werke indischer Autoren ins Arabische und ins Persische. Sein Zeitgenosse Alhazen formulierte daraufhin eine Theorie der Massenanziehung.
Der Perser Al-Khazini stellte seinerseits im 12. Jahrhundert die Vermutung auf, dass die Stärke der Erdanziehung abhängig ist vom Abstand zum Erdmittelpunkt. Interessant ist, dass er bereits zwischen der Masse, dem Gewicht und der Kraft unterschied, so wie es heute auch noch in der Physik üblich ist.
Ein bedeutender Kritiker der Physik des Aristoteles und Wegbereiter des
kopernikanischen Weltbildes ist der „Spätscholastiker” Nikolaus
von Oresme. Er hielt im 14. Jahrhundert die Erdrotation für
wahrscheinlich und beschrieb die Möglichkeit vieler Welten sowie vieler
gravitativer Zentren.[1]
Das stand völlig im
Widerspruch zu einer ruhenden, im Mittelpunkt des Universums liegenden und alles
Schwere anziehenden Erde. Diese Vorstellung vertrat nämlich die Kirche über viele
Jahrhunderte hinweg. Und wer eine andere Anschauung vertrat, musste um sein Leben
fürchten.
Nikolaus Kopernikus ging 1543 in seinem Manuskript (De revolutionibus orbium coelestium) davon aus, dass außer der Erde auch alle anderen Himmelskörper Gravitation ausüben. Er drückte es wie folgt aus:
„ ... Ich bin wenigstens der Ansicht, dass die Schwere nichts Anderes ist, als ein von der göttlichen Vorsehung des Weltenmeisters den Theilen eingepflanztes, natürliches Streben, vermöge dessen sie dadurch, dass sie sich zur Form einer Kugel zusammenschließen, ihre Einheit und Ganzheit bilden. Und es ist anzunehmen, dass diese Neigung auch der Sonne, dem Monde und den übrigen Planeten innewohnt ...” [2]
Johannes Kepler veröffentlichte 1609 in seiner Abhandlung (Astronomia nova) folgende Axiome:[3]
Jede körperliche Substanz ist, insofern sie körperlich ist, von Natur aus dazu geneigt, an jedem Ort zu ruhen, an dem sie sich allein befindet, außerhalb des Kraftbereichs eines verwandten Körpers.
Die Schwere besteht in dem gegenseitigen körperlichen Bestreben zwischen verwandten Körpern nach Vereinigung oder Verbindung (von dieser Ordnung ist auch die magnetische Kraft), so dass die Erde viel mehr den Stein anzieht; als der Stein nach der Erde strebt.
Das Schwere wird [...] nicht zum Weltmittelpunkt als solchen hingetrieben, sondern als den Mittelpunkt eines verwandten runden Körpers ...
Wäre die Erde nicht rund, so würde das Schwere nicht überall geradlinig auf den Mittelpunkt der Erde zu, sondern von verschiedenen Seiten aus nach verschiedenen Punkten hingetrieben.
Wenn man zwei Steine an einen beliebigen Ort der Welt versetzen würde, nahe beieinander außerhalb des Kraftbereichs eines dritten verwandten Körpers, dann würden sich jene Steine ähnlich wie zwei magnetische Körper an einem zwischenliegenden Ort vereinigen, wobei sich der eine dem andern um eine Strecke nähert, die der Masse des andern proportional ist.
Der Bereich der Anziehungskraft des Mondes erstreckt sich bis zur Erde.
Ebenfalls Anfang des
René Descartes erklärte die Schwerkraft als Folge seiner „Wirbeltheorie”. 1644 veröffentlichte er die Principia Philosophiae, die zunächst großen Einfluss hatten. Allerdings übte Isaac Newton Kritik an dessen Theorie, weil die Kometen nicht mit Descartes Modell erklärt werden könnten. Dass Kometen die Sphären bzw. die Bahnen der Planeten durchdringen bzw. kreuzen, war seit Tycho Brahe und dem Kometen von 1577 die vorherrschende Meinung.[4]
Die „Wirbeltheorie” wurde von Christiaan Huygens zwischen 1669 und 1690 weiterentwickelt, aber sie trat im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund.
Der englische Gelehrte Robert Hooke erklärte um 1670 die Wirkung der Gravitation mithilfe von „Gravitationstrichtern”. Er vertrat die Auffassung, dass die Gravitation eine Eigenschaft aller massebehafteten Körper sei. Nach seiner Überlegung sei die Gravitation umso größer, je näher sich zwei Körper zueinander befänden. Die Theorie, dass die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands vom Massezentrum ist, taucht erstmals 1680 in einem Brief Hookes an seinen Landsmann Newton auf.
Isaac Newton beschrieb in seiner Principia als erster die Gravitation mithilfe einer mathematischen Formel. Dieses von ihm formulierte Gravitationsgesetz ist eine der Grundgleichungen der klassischen Mechanik. Es war die erste physikalische Theorie, die man auch in der Astronomie anwandte. Newton bezeichnete die Gravitation als eine Kraft, die zwischen zwei Körpern wirkt und diese zu ihrem gemeinsamen Schwerpunkt hin beschleunigt. Wobei die Stärke der Gravitation proportional zum Quadrat des Abstandes der Körper abnimmt.
Die Newton'sche Theorie, wurde um 1800 von Pierre-Simon Laplace vollendet. Sie lieferte bisher ein grundlegendes Verständnis der Dynamik des Sonnensystems mit der Möglichkeit präziser Vorhersagen der Bewegung von Planeten, Monden und Kometen. Des Weiteren scheint sie die Kepler'schen Gesetze der Planetenbewegung für einzelne Planeten zu bestätigen.
Die danach berechneten Werte stimmten lange Zeit mit den entsprechenden astronomischen
und irdischen Beobachtungen und Experimenten vollkommen überein. Dennoch
gab es Mitte des
Zur Erklärung der Gravitation im Sinne eines Prozessgeschehens wurden im weiteren Verlauf eine Reihe mechanischer bzw. kinetischer Erklärungen vorgeschlagen. Eine der bekanntesten ist die von Fatio und Le Sage entwickelte Theorie der Le-Sage-Gravitation. Dieser Theorie zufolge beruht die Gravitationsanziehung zweier Körper auf der Abschirmung des aus Richtung des jeweils anderen wirkenden Drucks.
Im Zusammenhang hiermit stehen die Theorien eines Äthers als Vermittler von Wechselwirkungen, anstelle einer Fernwirkung. Eine der letzten dieser Theorien war die um 1900 entstandene Lorentz'sche Äthertheorie, die schließlich von dem neuartigen Ansatz der Einstein'schen Relativitätstheorie verdrängt wurde.
In der 1916 von Albert Einstein aufgestellten Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) wird die Gravitation auf eine geometrische Eigenschaft der Raumzeit zurückgeführt. Nach seiner Auffassung wird die Raumzeit durch die Anwesenheit von Masse und jeglicher Form von Energie gekrümmt. Durch diese Sichtweise ist es möglich, die Gravitation grundsätzlich anders zu interpretieren als die anderen Kräfte. Die Gravitation lässt sich dann als Trägheitskraft ansehen.
Nach dem Äquivalenzprinzip kann die Wirkung der Gravitation nicht von der Auswirkung einer Beschleunigung des Bezugssystems unterschieden werden. Denn in einem frei fallenden Bezugssystem heben sich die Wirkungen von Gravitation und Beschleunigung exakt auf. Man sagt, die Gravitation sei durch den Übergang zu den neuen Koordinaten „wegtransformiert”. Allerdings gilt dies jeweils nur für einen Ort. Denn jedes reale Gravitationsfeld bewirkt für benachbarte Orte abweichende Beschleunigungen.
In der Allgemeinen Relativitätstheorie wird zu jedem Punkt im Raum das entsprechende Lokale Inertialsystem ermittelt. In einem solchen System gibt es keine Gravitation und es hat dort jeweils die Spezielle Relativitätstheorie Gültigkeit. Die Wirkung der Gravitation tritt erst wieder bei der Rücktransformation in das Bezugssystem des Beobachters zutage.
Analog dazu bewegen sich in der Allgemeinen Relativitätstheorie Körper ohne gravitative Kräfte auf Geodäten in einem „gekrümmten” Raum mit Riemannscher Geometrie. Dies entspricht auch Galileis Aussage, dass kräftefreie Bewegungen geradlinig und gleichförmig verlaufen.
Um die an einem Punkt herrschende Krümmung der Raumzeit bestimmen zu können, bedient man sich der Einstein'schen Feldgleichungen. Sie wurden so formuliert, dass im Grenzfall bei schwach wirkender Gravitation die nach ihnen berechneten Ergebnisse mit denen der Newton'schen Gleichung übereinstimmen. Die Allgemeine Relativitätstheorie behandelt die Gravitation also als „Trägheitskraft”. Damit wird sie mit der Zentrifugalkraft, der Corioliskraft oder der Beschleunigungs- bzw. Verzögerungskraft auf eine Stufe gestellt.
Innerhalb eines Sonnensystems, wo es sich um schwache Felder bzw. eine geringe Krümmung der Raumzeit handelt, ergeben sich nur geringe Abweichungen von den Vorhersagen des Newton'schen Gravitationsgesetzes. Das erste erfolgreiche Anwendungsbeispiel der Allgemeinen Relativitätstheorie war die Erklärung der Diskrepanz um den Planeten Merkur. Die ART konnte die kleinen Abweichungen zwischen der beobachteten Periheldrehung der Bahn des Merkur und dem Wert, der nach der Newton'schen Theorie aufgrund der Bahnstörungen durch die anderen Planeten vorhergesagt wurde, erklären.
Bei starker Krümmung, wie sie durch starke Konzentration großer Massen auf kleinem Raum hervorgerufen wird, werden völlig neue Phänomene wie beispielsweise Schwarze Löcher vorhergesagt.
Bei der Newton'schen Mechanik wird allein die Masse als Ursache für die Gravitation zugrunde gelegt. In der Allgemeinen Relativitätstheorie ist die Gravitation dagegen Ausdruck der Krümmung der Raumzeit. Bei der ART spielt nicht nur die Anwesenheit von Materie eine Rolle, sondern auch jegliche Form von Energie. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Gravitationsenergie und von Massen- und Energieströmen. Ein unschlagbares Argument ist, dass alle Vorhersagen der ART, die sich beobachten lassen, auch durch entsprechende Messungen bestätigt wurden.
In der Newton'schen Gravitation geht man noch von einer instantanen Ausbreitung der Gravitationswirkung aus, das heißt, dass die Wirkung auch über große Entfernungen sofort erfolgt. Innerhalb der Einstein'schen Sichtweise gilt jedoch, dass sich keine Wirkung, also auch nicht die Gravitationswirkung, schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet.
Gibt es noch eine andere Sichtweise der Gravitation? Ja, es gibt eine Möglichkeit,
die
Ein Theoretischer Physiker ist in der Natur auf Gesetzmäßigkeiten gestoßen, die neue Einsichten in die detallierten Abläufe gibt, die letztlich zu einem Konsens führen. Insofern wird eine frühere Theorie, die als begraben schien, wieder zutage gefördert und ihr auf wundersame Weise neues Leben eingehaucht. Wir hoffen, dass der Leser genauso begeistert ist, wie es bei uns der Fall ist.
Quellen
[1] Edward Grant: The Nature of Natural Philosophy in the Late Middle Ages. Washington 2010, S. 63; Planets, Stars, and Orbs: The Medieval Cosmos, 1200-1687. 1994/96, S. 165; A Source Book in Medieval Science, Band 1. Zusammengestellt von Edward Grant, 1974, S. 551; Paul S. Agutter, Denys N. Wheatley: Thinking about Life: The history and philosophy of biology and other sciences. 2008, S. 59[2] zitiert nach: Nicolaus Coppernicus aus Thorn über die Kreisbewegungen der Weltkörper. (Deutsche übersetzung von C. L. Menzzer, 1879.), S. 23
[3] Astronomia nova. Neue ursächlich begründete Astronomie (übersetzung von Max Caspar, 1929 und Fritz Krafft, Wiesbaden 2005.), S. 28-29
[4] Harry Nussbaumer: Revolution am Himmel: wie die kopernikanische Wende die Astronomie veränderte. Zürich 2011, S. 237; Eberhard Knobloch: Das Weltbild in den Wissenschaften - Geschichte einer Konzeption. in: Christoph Markschies, Johannes Zachhuber (Hrsg.): Die Welt als Bild: Interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern. Berlin 2008, S. 227-246, S. 242
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