Jetzt werden wir erstmals das Massenpunktmodell verlassen. Bisher hatten wir im Wesentlichen nur die Punktmechanik behandelt. Entweder wurden ein oder mehrere einzelne Masseteilchen betrachtet. Aber die Welt um uns herum besteht überwiegend aus makroskopischen Körpern. Deswegen wollen wir uns jetzt mit ausgedehnten Körpern beschäftigen. Diese Körper sollen im weiteren Verlauf nicht verformbar sein, also „starr”. Im Gegensatz dazu gibt es auch die verformbaren Körper. Dabei handelt es sich entweder um elastisch verformbare Festkörper oder um Fluide, Flüssigkeiten und Gase.
Als Erstes betrachten wir nicht verformbare, starre Körper. Wobei das Ganze natürlich wieder eine Idealisierung ist. Denn wenn man eine genügend große Kraft auf einen Körper ausübt, wird sich dieser immer verformen. Wir schränken jedoch den Bereich der Kräfte ein, indem wir die Formänderung des festen Körpers so gering halten, dass man den Körper in guter Näherung als nicht verformbar betrachten kann.
Ein „starrer Körper” lässt keine Änderung seiner Form zu. Man sagt auch, er ist nicht deformierbar. Bei diesen makroskopischen Körpern tritt gegenüber den Massenpunkten ein neuer Aspekt auf. Diese Körper können sich einerseits wie die Massenpunkte translatorisch fortbewegen. Aber sie können auch um eine Achse rotieren. Im weiteren Verlauf werden wir deshalb auch auf die Rotationen von solchen starren Körpern näher eingehen. Und das führt uns dann letzten Endes auf die Kreiselbewegung.
Ein Kreisel ist auch ein starrer Körper, der sich um eine Achse dreht. Meistens geht diese Drehachse durch seinen Schwerpunkt. In diesem Fall kommen Aspekte zum Tragen, die bei der reinen Translation von Massenpunkten noch nicht von Bedeutung waren. Bei der Rotation hat man es dann mit mehr Freiheitsgraden zu tun, als dies bei den reinen Massenpunkten der Fall war. Denn Massenpunkte können definitionsgemäß nicht rotieren, weil sie keine nennenswerte innere Struktur haben. Dort spielt der Begriff der Rotation keine Rolle.
Anders verhält es sich bei einem ausgedehnten starren Körper. Zusätzlich zu den 3 bekannten Dimensionen der Translation, sprich den 3 Freiheitsgraden, kommen bei starren Körpern 3 weitere Freiheitsgrade hinzu. Diese zusätzlichen Freiheitsgrade betreffen die Möglichkeit, um die drei verschiedenen Raumachsen zu rotieren. Letztlich geht es dann also insgesamt um 6 Freiheitsgrade.
Dennoch werden wir uns gedanklich einen starren Körper als zusammengesetzt aus einzelnen Massenpunkten vorstellen, oder aus einzelnen Volumen- bzw. Massenelementen. Dadurch behalten wir den Bezug zu der uns bekannten Punktmechanik. Anschließend muss man nur noch über diese einzelnen Massenpunkte aufsummieren, um das Verhalten des gesamten Körpers beschreiben zu können. Und da werden wir in weiterer Folge in zwei Schritten vorgehen.
Auf der einen Seite ist es zwar interessant, die Bewegungen von starren Körpern unter dem Einfluss von Kräften und Drehmomenten zu untersuchen. Aber anderseits ist es in vielen Fällen auch erforderlich, die „Statik” von starren Körpern zu betrachten. Da geht es dann um die Frage, unter welchen Voraussetzungen wird denn ein starrer Körper im Gleichgewicht sein, also statisch bleiben. Insbesondere wenn unterschiedliche Kräfte an ihm angreifen.
Wir werden generell einen starren Körper auf der Basis der Punktmechanik beschreiben.
Wie schon erwähnt, geht man davon aus, dass der Körper aus N
Teilchen, also Molekülen bzw. Volumenelementen besteht, die starr miteinander
verbunden sind. Und die Positionen jedes dieser Teilchen wird durch verschiedene
Ortsvektoren
Wichtig ist auch, dass so ein Körper ein Gesamtvolumen V hat, denn man betrachtet ja etwas Makroskopisches. Und aus allen Volumina von einzelnen Massenteilchen wird schließlich eine Summe über alle Volumenelemente Vi gebildet. Oder wenn man es als Integral schreibt, ergibt sich:
dV sind die Teilvolumina
Neben dem Volumen ist auch die gesamte Masse wichtig:
Nachdem wir uns einen kurzen Überblick verschafft haben, betrachten wir zunächst die Statik starrer Köper.
Also, wir gehen davon aus, dass auf einen solchen starren Körper eine oder mehrere
Kräfte angreifen. Wenn nun eine solche Kraft auf einen starren Körper angreift, dann
verfolgt man das Ziel, diese Kraftwirkung zu charakterisieren. Und hier erweist es
sich als zweckmäßig, zusätzlich zu dem Kraftvektor
auch den Vektor des Drehmoments
Und dieses Drehmoment bezüglich dieses fest gewählten Bezugspunktes
ist gleich dem Vektor zwischen dem
Angriffspunkt der Kraft und dem Bezugspunkt. Beschrieben wird er durch den Ortsvektor
Je nach Erfordernissen kann der Bezugspunkt unterschiedlich gewählt werden. Der Bezugspunkt ist demnach nicht zwingend der Ursprung des Koordinatensystems. Wählt man einen anderen Bezugspunkt, dann kommt es immer auf den Verbindungsvektor an. In unsrem Fall nicht vom Ursprung des Koordinatensystems, sondern vom Bezugspunkt bis hin zum Angriffspunkt der Kraft.
Betrachtet man einen beliebig geformten starren Körper, stellt es sich wie folgt dar:
Das Drehmoment
Wenn mehrere Kräfte
Sollten sich womöglich alle Wirkungslinien in einem Punkt schneiden, können alle diese Kräfte zu diesem Punkt hin verschoben werden. In diesem Fall ergibt sich automatisch, dass die gemeinsame Wirkung all dieser Kräfte gleichwertig ist zu der Wirkung der Gesamtkraft, die an dem gemeinsamen Punkt angreift.
Aber im Allgemeinen wird das nicht der Fall sein. Denn im
In der Praxis hat man eine etwas allgemeinere Formulierung gefunden die es
ermöglicht, Untersuchungen anzustellen, auch für den Fall, dass man mehrere
Kräfte hat die so liegen, dass ihre Angriffslinien nicht alle durch ein und denselben
Punkt gehen. In diesem Fall ersetzt man einfach die Kräfte durch eine Summenkraft, die
an einem gemeinsamen Angriffspunkt angreift. Aus diesem Grund wird die Wirkung aller
Kräfte
Als gemeinsamen Angriffspunkt wird nach wie vor der Bezugspunkt B gewählt. Man betrachtet die Summe aller angreifenden Kräfte zunächst einmal unabhängig davon, wo sie angreifen und lässt die Summe aller Kräfte an dem gemeinsamen Angriffspunkt B angreifen. In ähnlicher Weise lässt sich auch das gesamte Drehmoment verallgemeinern:
Man kann auch schreiben:
So ergibt sich einerseits die gesamte Kraft und andererseits auch das gesamte Drehmoment. Diese beiden charakterisieren die Wirkung der aller Kräfte.
Hierbei ist es wichtig, dass die gesamte Kraft an dem Bezugspunkt angreift. Das hat zur Folge, dass diese Gesamtkraft als Vektorsumme der einzelnen Kräfte, bezüglich dieses Bezugspunktes, letztlich gar kein Drehmoment bewirkt. Denn wenn man eine Kraft am Bezugspunkt angreifen lässt, dann ist das Drehmoment, welches dadurch bewirkt wird gleich Null, weil der Verbindungsvektor zum Nullvektor wird.
Dementsprechend verursacht eine Kraft, die am Bezugspunkt angreift, kein Drehmoment. Das heißt, die Gesamtkraft am Bezugspunkt trägt nichts zu diesem Drehmoment bei. Sondern nur die Einzelkräfte haben bezüglich des Bezugspunktes entsprechende Drehmomente. Sie werden aber insgesamt dieses Gesamtdrehmoment bewirken, und daher braucht man hier sonst nichts Weiteres zu berücksichtigen.
Zusammenfassend können wir sagen: Wenn etliche Kräfte
Natürlich hängt das im Wesentlichen davon ab, was für einen Bezugspunkt man wählt. Und das Schöne daran ist, dass man die Freiheit hat, ihn nach Bedarf frei zu wählen. Wir werden sehen, was das für einen Vorteil bringt, wenn dieser Bezugspunkt B vorgewählt werden kann. Hierzu werden wir zwei Situationen gegenüberstellen.
Im ersten Fall sei die Summe aller Kräfte ≠ 0 :
Wenn wir nochmals obigen Ausdruck für das Gesamtdrehmoment heranziehen,
dann können wir erkennen, dass man den Ort des Bezugspunktes immer so wählen kann,
dass die Differenz der beiden Terme gerade gleich Null ist. Man kann das
Also, man kann den Bezugspunkt B, der zugleich auch der
Angriffspunkt der Summenkraft
ist so wählen, dass das gesamte Drehmoment
Mit anderen Worten, alle diese Kräfte
Wie wählt man aber diesen Bezugspunkt, sodass dieses Drehmoment gleich
Null wird. Das lässt sich an einem einfachen Beispiel
zeigen. Nehmen wir an, die Schwerkraft wirkt auf einen starren Körper. Das bedeutet,
dass jedes einzelne Massenelement eine Gewichtskraft
Jetzt muss man den Bezugspunkt bzw. Angriffspunkt der Gesamtkraft so wählen,
dass die Gesamtkraft gleichwertig wird zu der Wirkung aller Einzelkräfte
Der Zusammenhang lässt sich auch wie folgt darstellen:
Diese Gleichung ist jedenfalls erfüllt, falls:
Das entspricht genau der Definition des Massenmittelpunktes.
Wenn sich also ein ausgedehnter starrer Körper unter der Wirkung der Schwerkraft befindet, lässt sich die Gesamtwirkung aller Kräfte darstellen, indem man als Angriffspunkt den Bezugspunkt B wählt, der dem Massenmittelpunkt entspricht.
Deshalb nennt man bei starren Körpern den Massenmittelpunkt auch den „Schwerpunkt”. Weil eben der Schwerpunkt derjenige Punkt ist, an welchem man sich die Gesamtkraft, also das Gesamtgewicht des Körpers, angreifend denkt. Dadurch wird letztlich das gleiche Ergebnis erzielt, als wenn alle Einzelkräfte für sich betrachtet würden.
Oder anders ausgedrückt, wenn man diesen Körper im Gleichgewicht halten möchte, dann muss man eine gleich große entgegengesetzte Kraft im Schwerpunkt angreifen lassen, um den Körper hinsichtlich aller seiner Wirkungen kräftefrei zu halten. Man muss dann nicht jede einzelne Kraft entsprechend kompensieren, sondern es muss lediglich der Körper kräftemäßig im Schwerpunkt unterstützt werden, wodurch sich der Körper völlig ausgleichen lässt.
Schließen wir die Betrachtung dadurch, dass wir uns anschauen, was passiert, wenn zwei „parallel gleichgerichtete Kräfte” an einem Körper angreifen.
zum Beispiel greift an einem waagerechten länglichen Körper links eine Kraft
Das gesamte Drehmoment soll hier wieder gleich Null sein:
Für die Beträge erhalten wir:
Und das besagt nichts anderes als das Hebelgesetz:
Hierzu muss der richtige Bezugspunkt zwischen den beiden Kräften liegen. An der Stelle dieses Bezugspunktes wirkt eine entgegengesetzt gerichtete Gesamtkraft, die gleich der Summenkraft der Einzelkräfte ist. Diese entsprechende Gegenkraft, die im vorgenannten Beispiel nach oben wirkt, hebt die Summenkraft auf und lässt sich definieren als das Hebelgesetz:
Gehen wir in unserer Betrachtung noch einen Schritt weiter.
Im zweiten Fall sei die Summe aller Kräfte = 0 :
Worin besteht jetzt der Unterschied zu vorherigem Fall? Wenn die Summe aller Kräfte gleich Null ist, dann spielt es keine Rolle wohin man den Bezugspunkt legt. Die Kraft und die Summe aller Kräfte werden dann immer gleich Null sein. Das macht die Sache sehr übersichtlich. Für das Drehmoment spielt es nämlich keine Rolle, auf welchen Bezugspunkt man es bezieht. Das ist insbesondere dann ein Fall, wenn man ein Kräftepaar betrachtet, deren Kräfte einfach entgegengesetzt gleich groß sind.
Das Drehmoment, welches diesem Kräftepaar entspricht, lässt sich anlog zu oben wie folgt definieren:
Man kann sofort erkennen, dass man nicht auf die Wahl des Ursprungs oder irgendeines Bezugspunktes angewiesen ist. Es geht einzig und allein nur um den Verbindungsvektor. Und deswegen ist bei einem solchen Kräftepaar ein Drehmoment eindeutig definiert.
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